Weniger aufs Handy schauen: Fotoserie Removed von Eric Pickersgill als Aufruf zu Digital Wellbeing, Digital Detox und digitaler Auszeit.
Wie geht das?

Digital Wellbeing: Weniger aufs Handy schauen

An dem Nutzen von Social Media und Co. zweifeln mittlerweile sogar schon deren Pioniere. Ihre Bewegung „Time Well Spent“ fordert eine gesellschaftliche Umkehr hin zu mehr digitaler Auszeit. Und Künstler wie Eric Pickersgill legen den Finger auf die Wunde: weg von der Smartphone-Sucht hin zu mehr Digital Wellbeing.

Es ist die Abwesenheit, die die Fotografien von Eric Pickersgill prägt – nämlich jenes Objekts, dem die Menschen darauf ihre stumme Aufmerksamkeit schenken. Statt auf ihr Smartphone oder Tablet starren sie mit leerem Blick auf ihre ebenso leeren Hände. Und wirken dabei selbst erschreckend abwesend.

Der Titel der Serie könnte treffender nicht sein: „Removed“ zeigt in tristem, aber umso klarerem Schwarz-Weiß auf, wie uns das Smartphone (emotional) voneinander entfernt und selbst in Gesellschaft einsam macht. Eric Pickersgill visualisierte damit schon 2015 ein Gefühl, das heute immer mehr Menschen zu teilen scheinen: dass uns unsere exzessive Smartphone-Nutzung immer einsamer und unglücklicher macht. Weniger aufs Handy schauen: Wie geht das (nochmal)?!

Smartphone-Sucht statt Digital Wellbeing

Dieses Gefühl trügt nicht, wie zahlreiche Studien belegen. Da ist die Rede von einer drastisch gesunkenen Aufmerksamkeitsspanne von rund 40 Sekunden, ebenso von steigenden Depressionsraten. Vor allem für junge Frauen hat sich die Wahrscheinlichkeit, zu erkranken, seit dem Aufstieg von Social Media von 17 Prozent (1991) auf 30 Prozent (2017) erhöht. Plastische Chirurgen berichten von Anfragen, sich das Gesicht wie von einem Snapchat-Filter optimiert operieren zu lassen. Gerade die junge Generation scheint im digitalen Bann gefangen zu sein, das Gehirn fixiert auf den nächsten Kick per Klick, der Selbstwert abhängig von der Anzahl an Likes.

Digitale Auszeit: Der Wunsch ist da, aber …

Die echte Welt und reale Beziehungen geraten zunehmend ins Hintertreffen. So würden viele Österreicher sogar lieber sieben Tage Alkohol, Sport und Sex abschwören als ihrem Smartphone. Zugleich verspüren aber gerade Jugendliche eine Ambivalenz in puncto Handy: Fast 80 Prozent der 14- bis 29-Jährigen findet, ihre Freunde verbrächten zu viel Zeit mit dem Handy, fand der Jugend-Trend-Monitor 2019 heraus. Und die Mehrheit in dieser Altersgruppe wünschen sich öfter eine digitale Auszeit. Wie beim Anblick der leeren Hände auf Eric Pickersgills Fotos drängt sich bei solchen Statistiken die Frage auf: Wer hat hier wen im Griff – wir das Smartphone oder das Smartphone uns?

Time Well Spent: Initiative pro Digital Wellbeing

Sogar digitale Vorreiter, die im Internet maßgeblich an der Entwicklung von Facebook, Instagram und Konsorten beteiligt waren, sind inzwischen desillusioniert. Unter der Leitung von Tristan Harris, Ex-Google-Ethiker, hat sich eine Gegenbewegung formiert. Die Non-Profit-Organisation Time Well Spent will Bewusstsein für Digital Wellbeing schaffen, für eine Abkehr vom Smartphone zum echten Leben, für mehr digitale Auszeit.

Zu den Digital-Kritikern aus den eigenen Reihen gehört auch Justin Rosenstein, seines Zeichens Miterfinder der Like-Buttons auf Facebook. Von ihm bekommen Social Media und andere Apps nun kein „Thumbs up“ mehr. Stattdessen ließ er 2017 mit seinem Eingeständnis aufhorchen, seine Beteiligung an der Like-Funktion zu bereuen. Seine Warnung vor den Folgen des exzessiven Smartphone-Konsums klingt umso dringlicher, als dass er selbst danach lebt und beispielsweise App-Blocker nutzt, um seine Screentime zu reduzieren.

Zeit, weniger aufs Handy zu schauen

Auch Tristan Harris und der ehemalige Firefox-Chefdesigner Aza Raskin brachten 2018 eine Funktion für Google und Apple auf den Markt, die die Nutzer ihren Internet- und Smartphone-Konsum besser abschätzen und steuern lässt. Wie bitte, eine App, um der Smartphone-Sucht einen Riegel vorzuschieben? Ja, ausgerechnet die Wurzel des Übels soll Abhilfe schaffen! Freilich nicht ohne spielerischem Touch, der die Einschränkung der Handynutzung möglichst annehmbar machen soll. Davon kann man halten, was man will, doch eines ist sicher: Dass sogar Social-Media-Macher der ersten Stunde nun auf Digital Detox und Digital Wellbeing setzen, sollte bei uns jedenfalls die Alarmglocken (und nicht das Smartphone) schrillen lassen. In Erinnerung daran, dass eine „time well spent“ eben selten vor einem Bildschirm stattfindet.

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